60,50,40 … das Jahr 2022 hält ja so einige „Nuller-Geburtstage“ bereit – ich bin euch allerdings einiges voraus 😉
Ihr Lieben, das war ein Gespräch, dass mich oft zu einer spontanen Bekräftigung verleitet hätte, hätte ich mit euch am Tisch gesessen.
Ich als Lehrerin kann nur unterstreichen, was du, lieber Jonathan über die Schwächen unseres Schulsystems sagst. Ich kann das nicht auf Religionsunterricht beziehen, aber dass wir mündige Bürger aus unseren Schülern machen sollen, sehe ich auch nicht. Von der ersten Klasse an geht es scheinbar nur darum, ein bestimmtes, von Kultusministern ausbaldowertes Ziel zu erreichen, von dem gesagt wird, dass es die jungen Menschen dazu befähigen soll, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und ihren Beitrag zu leisten. Dazu muss man sich mal Gerald Hüter anhören – dringend reformbedürftig, der Laden, kann ich da nur sagen.
Ich habe vor 4 Jahren beschlossen, mich nicht mehr länger als nötig vor diesen Karren spannen zu lassen und werde meine Schullaufbahn im kommenden Januar beenden (in Niedersachsen kann man mit 60 raus aus dem System), ohne alle erarbeiteten Bezüge zu riskieren. 24 % Abschlag nehme ich dafür gern in Kauf, denn ich sehe jeden Tag, in diesen Krisenzeiten mehr denn je, wie wenig Schule darauf eingestellt ist, SchülerInnen wirklich zu begleiten. Und das will ich einfach nicht mehr mittragen.
Mir ging es sowohl bei Fragen um Corona, als auch bei den Reaktionen auf den Krieg in der Ukraine wie dir, Jonathan – auch in unserem Kollegium fanden sich nur wenige, die mit den SchülerInnen (und ich arbeite vorwiegend mit jungen Erwachsenen) über ihre Ängste und Zukunftssorgen gesprochen haben. Als Material (das sollte uns, so sagten einige Politik-Kollegen, im Gespräch mit den SchülerInnen helfen) bekamen wir übrigens u.a. eine Übersicht dazu, wann wo welche Bombe eingeschlagen ist – ich habe echt gedacht, es hackt wohl!
Ich habe mich dann entschlossen, mit meinen SchülerInnen einen Text zu lesen und zu besprechen, in dem es darum geht, wie „Frieden-machen“ funktionieren kann und dass Frieden immer erst im eigenen Herzen beginnen muss (auch ein schöner, fast religiöser Ansatz).
Ich finde übrigens die Einschätzung, in Mathe gehe es um Zahlen und in Deutsch um Grammatik, symptomatisch für unser System und viel zu kurz gegriffen. Geht es nicht, immer dann, wenn es dran ist, um Leben mit all seinen Fragen und in all seinen Facetten? Was wäre ich für eine (Deutsch)Lehrerin, die den Stoff durchackert, obwohl sie merkt, dass den SchülerInnen ganz andere Dinge unter den Nägeln brennen? Und wie oft werde ich genau dazu gezwungen, weil Termine drängen und Vorgaben abzuarbeiten sind? Insgesamt, ob Religionsunterricht oder Mathe, die Aufteilung in meist kurze Sequenzen und strikte Lehrpläne hat in meinen Augen nichts mit dem Leben und dem Anleiten zu verantwortungsvollem Handeln und Gestalten zu tun. Und ich hoffe, dass sich unser Schulsystem zusammen mit der Gesellschaft zu dem wandeln möge, was dem Leben dient.
Ich hoffe sehr, dass Lehrer wie du, lieber Jonathan, noch viel in diese Richtung bewegen werden … ich habe dazu nach 29 Jahren im Schuldienst keine Lust mehr … ich werde meine Kräfte und das, was ich als meine Aufgabe ansehe, außerhalb dieses festgefahrenen Systems weiterführen.
Ich grüße euch von Herzen und wünsche euch und uns allen eine friedenbringende Osterzeit!
Imke
Nachtrag:
Jetzt, wo sich der erste Trigger zum Schulsystem beruhigt hat, kommt mir in den Sinn, an welchen Stellen eures Gespräches ich euch ebenfalls sofort beipflichte. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass eure Lieder (und natürlich war ich inzwischen auf Jonathans Seite) anders sein könnten als persönlich.
Ich habe schon einige Künstler erlebt, auch solche, die fromm lobpreisen. Das ist mir oft zu viel – vielleicht auch deshalb, weil das nicht zu meiner Gottesdiensttradition gehört. Für mich macht gerade das persönliche Statement, die persönliche Geschichte und Betroffenheit eure Botschaften zu dem, was sie für mich sind … Anregungen, meinem eigenen Leben, meinem eigenen Glaubensbezug, meiner eigenen Gottesbeziehung nachzuspüren … ohne erhobenen Zeigefinger oder den Anspruch, den richtigen Glauben zu leben.
Ich musste bei eurem Austausch zum „Festival“, bei dem ihr euch kennengelernt habt, an eine Missionarin denken, die einmal unseren Gottesdienst geleitet hat. Ich fühlte mich wie an die Wand genagelt und dachte immer nur, dass das genau das ist, was mich eher aus der Kirche treiben würde. Dieser Anspruch, dass nur ihr Weg der sei, der zu Gott führe, hat mich tatsächlich eher peinlich berührt.
Da bin ich ganz bei euch!
Und das schätze ich (Jonathan kenne ich zu wenig, deshalb erst einmal an Klausa gerichtet) besonders an deiner Musik. Mit deiner Authentizität, die immer zu spüren ist – auch beim Musikantenstall 😉 – berührst du mich und viele, mit denen ich nach den Konzerten gesprochen habe. Du berührst mit Zweifeln und Zuversicht, mit Wut, Trauer, Ohnmacht und tiefer Liebe zu und Freude an dem, den wir Gott nennen. Mit allen Facetten, die zum Leben gehören und immer mit der Hoffnung verbunden, dass uns das Leben (mal mehr, mal weniger) gelingen kann, wenn wir uns von Gott berühren lassen. Und dass wir das eben nicht mit dem Verstand erfassen und nicht erklären können (du weißt ja, dass mich „Frag mich nicht“ sofort abgeholt und dazu gebracht hat, mit dir in Kontakt zu treten – das ist jetzt auch schon fast 10 Jahre her!).
Ich bin dankbar dafür, dass mich deine Musik auf meiner Lebensreise begleitet und freue mich auf weitere Begegnungen. Und ich wünsche euch viele weitere, tief berührende Konzerte und Begegnungen mit Menschen, die sich von euch berühren lassen.
Mir scheint, das ist wieder mal ein Gast, den man der Kategorie „feiner Kerl“ zuordnen darf 🙂 ….
Viele Aussagen haben mich berührt – Dank deiner beiden Kommentare, liebe Imke, brauche ich nun nicht mehr viel zu sagen (was mir angesichts der momentanen Arbeitslast sehr entgegenkommt).
Ich picke deshalb nur z w e i Aussagen von Jonathan heraus, die sich mir (neben vielen anderen) eingeprägt haben:
„Unser Schulsystem ist nicht darauf angelegt, die Schüler zu mündigen Menschen hin zu bewegen.“ – Leider wahr…. und dennoch sehe ich im Vergleich zu früher (als „sturer Frontalunterricht“ die Norm war) doch gewisse Fortschritte – zumindest werden Lehrer, die das tun, was ich im nächsten Punkt erwähne, nicht mehr „schief angesehen“….
„Ich setze mich dann (in besonderen Momenten mit meinen Schülern) hin… und bin einer von ihnen…“ – SO entstehen (im Klassenzimmer) gegenseitiges Vertrauen und Verständnis füreinander!
Schließen möchte ich mit einem (Schluß-)Zitat von dir, Klausa, und es als Wunsch für euch (und alle eure wunderbaren Künstler-Kolleg(inn)en) formulieren:
„Möge es fruchtbar… und blumig… und mit dem Frühling auch mit neuen Liedern und Konzerten gut für euch weitergehen!!“
3 Gedanken zu „#043 Jonathan Leistner“
60,50,40 … das Jahr 2022 hält ja so einige „Nuller-Geburtstage“ bereit – ich bin euch allerdings einiges voraus 😉
Ihr Lieben, das war ein Gespräch, dass mich oft zu einer spontanen Bekräftigung verleitet hätte, hätte ich mit euch am Tisch gesessen.
Ich als Lehrerin kann nur unterstreichen, was du, lieber Jonathan über die Schwächen unseres Schulsystems sagst. Ich kann das nicht auf Religionsunterricht beziehen, aber dass wir mündige Bürger aus unseren Schülern machen sollen, sehe ich auch nicht. Von der ersten Klasse an geht es scheinbar nur darum, ein bestimmtes, von Kultusministern ausbaldowertes Ziel zu erreichen, von dem gesagt wird, dass es die jungen Menschen dazu befähigen soll, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und ihren Beitrag zu leisten. Dazu muss man sich mal Gerald Hüter anhören – dringend reformbedürftig, der Laden, kann ich da nur sagen.
Ich habe vor 4 Jahren beschlossen, mich nicht mehr länger als nötig vor diesen Karren spannen zu lassen und werde meine Schullaufbahn im kommenden Januar beenden (in Niedersachsen kann man mit 60 raus aus dem System), ohne alle erarbeiteten Bezüge zu riskieren. 24 % Abschlag nehme ich dafür gern in Kauf, denn ich sehe jeden Tag, in diesen Krisenzeiten mehr denn je, wie wenig Schule darauf eingestellt ist, SchülerInnen wirklich zu begleiten. Und das will ich einfach nicht mehr mittragen.
Mir ging es sowohl bei Fragen um Corona, als auch bei den Reaktionen auf den Krieg in der Ukraine wie dir, Jonathan – auch in unserem Kollegium fanden sich nur wenige, die mit den SchülerInnen (und ich arbeite vorwiegend mit jungen Erwachsenen) über ihre Ängste und Zukunftssorgen gesprochen haben. Als Material (das sollte uns, so sagten einige Politik-Kollegen, im Gespräch mit den SchülerInnen helfen) bekamen wir übrigens u.a. eine Übersicht dazu, wann wo welche Bombe eingeschlagen ist – ich habe echt gedacht, es hackt wohl!
Ich habe mich dann entschlossen, mit meinen SchülerInnen einen Text zu lesen und zu besprechen, in dem es darum geht, wie „Frieden-machen“ funktionieren kann und dass Frieden immer erst im eigenen Herzen beginnen muss (auch ein schöner, fast religiöser Ansatz).
Ich finde übrigens die Einschätzung, in Mathe gehe es um Zahlen und in Deutsch um Grammatik, symptomatisch für unser System und viel zu kurz gegriffen. Geht es nicht, immer dann, wenn es dran ist, um Leben mit all seinen Fragen und in all seinen Facetten? Was wäre ich für eine (Deutsch)Lehrerin, die den Stoff durchackert, obwohl sie merkt, dass den SchülerInnen ganz andere Dinge unter den Nägeln brennen? Und wie oft werde ich genau dazu gezwungen, weil Termine drängen und Vorgaben abzuarbeiten sind? Insgesamt, ob Religionsunterricht oder Mathe, die Aufteilung in meist kurze Sequenzen und strikte Lehrpläne hat in meinen Augen nichts mit dem Leben und dem Anleiten zu verantwortungsvollem Handeln und Gestalten zu tun. Und ich hoffe, dass sich unser Schulsystem zusammen mit der Gesellschaft zu dem wandeln möge, was dem Leben dient.
Ich hoffe sehr, dass Lehrer wie du, lieber Jonathan, noch viel in diese Richtung bewegen werden … ich habe dazu nach 29 Jahren im Schuldienst keine Lust mehr … ich werde meine Kräfte und das, was ich als meine Aufgabe ansehe, außerhalb dieses festgefahrenen Systems weiterführen.
Ich grüße euch von Herzen und wünsche euch und uns allen eine friedenbringende Osterzeit!
Imke
Nachtrag:
Jetzt, wo sich der erste Trigger zum Schulsystem beruhigt hat, kommt mir in den Sinn, an welchen Stellen eures Gespräches ich euch ebenfalls sofort beipflichte. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass eure Lieder (und natürlich war ich inzwischen auf Jonathans Seite) anders sein könnten als persönlich.
Ich habe schon einige Künstler erlebt, auch solche, die fromm lobpreisen. Das ist mir oft zu viel – vielleicht auch deshalb, weil das nicht zu meiner Gottesdiensttradition gehört. Für mich macht gerade das persönliche Statement, die persönliche Geschichte und Betroffenheit eure Botschaften zu dem, was sie für mich sind … Anregungen, meinem eigenen Leben, meinem eigenen Glaubensbezug, meiner eigenen Gottesbeziehung nachzuspüren … ohne erhobenen Zeigefinger oder den Anspruch, den richtigen Glauben zu leben.
Ich musste bei eurem Austausch zum „Festival“, bei dem ihr euch kennengelernt habt, an eine Missionarin denken, die einmal unseren Gottesdienst geleitet hat. Ich fühlte mich wie an die Wand genagelt und dachte immer nur, dass das genau das ist, was mich eher aus der Kirche treiben würde. Dieser Anspruch, dass nur ihr Weg der sei, der zu Gott führe, hat mich tatsächlich eher peinlich berührt.
Da bin ich ganz bei euch!
Und das schätze ich (Jonathan kenne ich zu wenig, deshalb erst einmal an Klausa gerichtet) besonders an deiner Musik. Mit deiner Authentizität, die immer zu spüren ist – auch beim Musikantenstall 😉 – berührst du mich und viele, mit denen ich nach den Konzerten gesprochen habe. Du berührst mit Zweifeln und Zuversicht, mit Wut, Trauer, Ohnmacht und tiefer Liebe zu und Freude an dem, den wir Gott nennen. Mit allen Facetten, die zum Leben gehören und immer mit der Hoffnung verbunden, dass uns das Leben (mal mehr, mal weniger) gelingen kann, wenn wir uns von Gott berühren lassen. Und dass wir das eben nicht mit dem Verstand erfassen und nicht erklären können (du weißt ja, dass mich „Frag mich nicht“ sofort abgeholt und dazu gebracht hat, mit dir in Kontakt zu treten – das ist jetzt auch schon fast 10 Jahre her!).
Ich bin dankbar dafür, dass mich deine Musik auf meiner Lebensreise begleitet und freue mich auf weitere Begegnungen. Und ich wünsche euch viele weitere, tief berührende Konzerte und Begegnungen mit Menschen, die sich von euch berühren lassen.
Herzensgrüße und Gottes reichen Segen
Imke
Mir scheint, das ist wieder mal ein Gast, den man der Kategorie „feiner Kerl“ zuordnen darf 🙂 ….
Viele Aussagen haben mich berührt – Dank deiner beiden Kommentare, liebe Imke, brauche ich nun nicht mehr viel zu sagen (was mir angesichts der momentanen Arbeitslast sehr entgegenkommt).
Ich picke deshalb nur z w e i Aussagen von Jonathan heraus, die sich mir (neben vielen anderen) eingeprägt haben:
„Unser Schulsystem ist nicht darauf angelegt, die Schüler zu mündigen Menschen hin zu bewegen.“ – Leider wahr…. und dennoch sehe ich im Vergleich zu früher (als „sturer Frontalunterricht“ die Norm war) doch gewisse Fortschritte – zumindest werden Lehrer, die das tun, was ich im nächsten Punkt erwähne, nicht mehr „schief angesehen“….
„Ich setze mich dann (in besonderen Momenten mit meinen Schülern) hin… und bin einer von ihnen…“ – SO entstehen (im Klassenzimmer) gegenseitiges Vertrauen und Verständnis füreinander!
Schließen möchte ich mit einem (Schluß-)Zitat von dir, Klausa, und es als Wunsch für euch (und alle eure wunderbaren Künstler-Kolleg(inn)en) formulieren:
„Möge es fruchtbar… und blumig… und mit dem Frühling auch mit neuen Liedern und Konzerten gut für euch weitergehen!!“